Wie die meisten normalen Eltern, so hatten auch der König und die Königin es gar nicht gerne, wenn ihre kleine Prinzessin traurig war und vielleicht sogar weinte. Sofort wurde sie mit allen Mitteln getröstet und mit Geschenken überhäuft, um die Tränen zum Stillstand zu bringen. Dabei war sie eigentlich eine stille Weinerin, sie tobte nicht herum und schimpfte, sondern war halt manchmal traurig und hätte gerne ein paar Tränen rollen lassen. Aber der König und die Königin hatten vor langer Zeit verlernt, traurig zu sein und konnten es dann auch nicht ertragen, wenn ihre Tochter ein bisschen traurig war.
Weil die Prinzessin eine brave Tochter war und ihre Eltern nicht unglücklich machen wollte, hörte sie dann eines Tages auf zu weinen. Auch wenn ihr eigentlich zum Weinen oder zum Schreien war, ließ sie sich nichts anmerken, sondern tat so, als sei sie glücklich. Aber sie war es nicht. Irgendwann konnte sie dann einfach nicht mehr weinen, auch wenn sie ganz allein für sich war. Aber je weniger sie weinte, um so unglücklicher wurde sie.
Als sie schon fast erwachsen war, hatte sie eines Nachts einen Traum. Sie schwamm in einem tiefen See, in dessen Mitte eine ganz kleine Insel war. Als sie dort ankam und sich ausruhte, erschien auf einmal eine Hexe, die aussah wie eine böse Hexe, und ohne Grund, einfach so, zauberte die das ganze Wasser weg.
Da saß die Prinzessin nun und war ganz allein und unglücklich. Der See war so tief, dass sie unmöglich zu Fuß zu den anderen Menschen zurückkehren konnte. Auch ihr lautes Rufen hörte niemand.
Sehr bald war sie ganz verzweifelt und tief traurig. So tief traurig, dass ihr die Tränen kamen, was schon viele Jahre nicht mehr geschehen war. Und sie weinte und weinte und weinte. Sie weinte Bäche von Tränen. So viel, dass der See sich allmählich wieder füllte. So viel, dass sie schließlich wieder in ihr vertrautes Leben zurückschwimmen konnte.
Und am Ufer des Sees erwartete sie die Hexe, die aber in Wirklichkeit eine gute Fee gewesen war. Denn mit ihrer Hilfe hatte die Prinzessin wieder gelernt zu weinen und fing dann erst an, so richtig glücklich zu sein.