Der Waldspecht entstammte einem alten Adelsgeschlecht. In dieser Familie gab es den Leitspruch, „Bei uns wird nicht geweint, bei uns wird gehämmert!“, und weil auf dem Familienwappen nicht so viel Platz war, stand da in verkürzter Form „Hammer statt Jammer“.
Das wurde schon den kleinen Spechtkindern beigebracht. Gab es mal nicht das gewünschte Geschenk zu Weihnachten, lernte unser kleiner Waldspecht, dass man sich am besten sofort an einem Baum festkrallte und so lange hämmerte, bis man die Enttäuschung vergessen hatte – und auch dass überhaupt Weihnachten war. Er lernte, dass sein Kopf das wichtigste Werkzeug war, mit dem man nicht nur Höhlen bauen konnte und Würmer unter der Baumrinde hervorholen, sondern mit dem man vor allem hämmern konnte, wenn es mal nicht so lief, wie es einem gefiel.
Und da es in der Welt einiges gibt, was einem nicht gefallen kann, gab es viel zu Hämmern. Während die Spechte in den anderen Spechtfamilien das Hämmern nur einsetzten, wenn es zur Wohnungsgestaltung nötig war oder zur Futterbeschaffung, hämmerte er auch einfach so, wenn er sich ärgerte, und das war an den meisten Tagen von morgens bis abends oder zumindest, bis er einfach vor Erschöpfung nicht mehr hämmern konnte.
In seiner Jugend dachte er noch, er könne das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden und bildender Künstler werden. Wenn er sich konzentrierte, gelangen ihm auch einige außergewöhnlich schöne Baumhöhlen mit exakt kreisrunden Höhleneingängen. Auch der Innenausbau konnte sich sehen lassen. Aber die Kunst war halt nicht sein eigentlicher Antrieb. Er hämmerte, um nicht sehen zu müssen, dass er unzufrieden war. Und je älter er wurde, um so mehr hatte er sich auch noch angewöhnt, ständig den Kopf zu schütteln angesichts der Dummheit in der Welt. Das machte natürlich das präzise Hämmern unmöglich. Dazu kamen noch die Kopfschmerzen vom dauernden Hämmern, die es ihm immer mehr erschwerten, sich zu konzentrieren. Seine Löcher wurden immer unordentlicher und breiter, und er hat manchen Baum dabei zu Fall gebracht.
Wir können uns vorstellen, wie der Wald um ihn herum bald ausgesehen hat. Jeder Baum verträgt nur eine gewisse Anzahl von Höhlen. Viele Bäume starben, weil der Waldspecht sich zu sehr an ihnen ausgehämmert hatte und einige hatte er ja regelrecht gefällt.
Natürlich hatten die anderen Spechte versucht, ihn zur Vernunft zu bringen. Aber wie bringt man jemandem bei, dass Hämmern die Probleme der Welt nicht löst und dass Traurigsein und Weinen manchmal das richtige sind? Für diese Art von Belehrung hatte der Waldspecht kein Ohr. Es war unmöglich, dass seine ganze adlige Familie sich irrte.
Aber irgendwann fiel ihm auf, dass in seinem Wald fast kein Baum mehr stand. Schließlich braucht ein Specht Bäume. Wie hatten die das früher angestellt, dass sie nicht den ganzen Wald umgebracht hatten?, fragte er sich. Irgendetwas musste er falsch gemacht haben. Es gab fast nur noch Baumstümpfe. Und Spechte, mit denen er sich darüber hätte austauschen können, gab es auch keine mehr. Die waren schon vor langer Zeit weggezogen in einen Wald, wo nicht so viel gehämmert wurde.
Der Waldspecht setzte sich auf einen der Baumstümpfe und atmete erst mal tief ein und aus. Zum ersten Mal benutzte er seinen Kopf zu etwas anderem als zum Hämmern. Er sah, was er angerichtet hatte und wurde ganz traurig. Sein erster Impuls war dann wieder, am besten gleich weiterzuhämmern. Aber zum Glück war da auch ein Impuls in ihm, mal still sitzen zu bleiben. Und als er lange genug traurig gewesen war, bemerkte er, dass sich etwas in ihm entspannte. Hämmern war zwar toll, aber irgendwo auch verrückt. Man lebt doch nicht zum Hämmern, sagte er sich. Es muss einen anderen Weg geben, und den hatte er gerade angefangen zu entdecken.
Er erinnerte sich, dass er mal von einem schon älteren und etwas weiseren Specht die Empfehlung gehört hatte, „Sei mit dem, was ist!“ Er hatte natürlich geglaubt, er verstünde das. Schließlich war er ja immer mit vollem Herzen beim Hämmern dabei gewesen. Aber dem Hämmern traute er jetzt nicht mehr. Jetzt war es sein Herz, das hämmerte. Das war ein bisschen unangenehm, aber es war auch ein bisschen angenehm. Es war ganz neu für ihn, dass es in ihm auch so ein Hämmern gab. War das Ärger, war das Aufregung oder war das Freude? Mit dieser Frage beschäftigte er sich von jetzt an. Er irrte sich zwar darin, dass er glaubte, er könne das verstehen. Aber das Verstehen-Wollen hörte in ihm im Lauf der Zeit immer mehr auf. Das wiederum verstand er gar nicht, aber es war ihm egal. Irgendwie war das schön, das Herz klopfen zu spüren.
Und weil das Herz immer Recht hat und immer der richtige Weg ist, wurde aus unserem ärgerlichen Waldspecht ein glücklicher Waldspecht. Er machte sich auf, die anderen Waldspechte wieder zu finden, die ihn verlassen hatten und diese freuten sich darüber, dass er doch noch die Kurve gekriegt hatte.
So lebte er dann noch viele glückliche Jahre und hämmerte nur noch, wenn er wirklich Grund dazu hatte.