z-Virabhadrasana II

Virabhadrasana II
(Kriegerstellung II)

von Ernst Adams

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Auf den ersten Blick ist das ein einfaches Asana. Für die meisten Menschen stellt die Beugung des Knies und die dargestellte Haltung der Hüftgelenke kein Problem dar. Man steht auf beiden Füßen, also scheint es nicht schwierig, das Gleichgewicht zu halten.

Dass es in den Beinen anstrengend sein könnte, auch nur kurze Zeit so zu stehen, ist erst bei der Ausführung zu spüren. Auch die Arme und den Oberkörper gerade zu halten, sieht einfach aus, bis man anfängt, es genau zu machen.

Richtet man sich so aus, dass die Schultern, Arme, Beine und Füße sich möglichst in einer Ebene befinden, gibt es auf einmal überall etwas zu korrigieren und die Standfestigkeit geht verloren.

Ein Anfänger ist im allgemeinen überfordert, in dieser Haltung die Schulterblätter nach unten zu ziehen, den unteren Rücken zu strecken, die Leisten und die Innenseiten der Oberschenkel zu dehnen und das gebeugte Knie nicht nach vorne abweichen zu lassen. Aber auch für einen Geübten wird Virabhadrasana II zu einer Herausforderung, wenn er es eine Minute oder länger korrekt halten will. Sehr bald werden die Arme schwer und die Oberschenkel wollen nachgeben.

 

Wenn du ein dir noch nicht vertrautes Asana übst, spürst du anfangs bei der Öffnung eines Gelenks oder der Dehnung eines Muskels einen Widerstand, die Grenze. Du merkst, dass es nicht weiter geht. Es ist unangenehm und vielleicht frustrierend. Das Strecken dient dann vor allem dem Zweck, die normale Beweglichkeit wieder zu erreichen. Und das ist Arbeit.

Ist diese erste große Schwelle überwunden (und damit haben wir gerade einen Zeitraum von Wochen, Monaten oder Jahren übersprungen), wird es eher möglich, die Freude des Streckens und Ausdehnens zu empfinden. Du verlierst das Gefühl der Schwere und der Anstrengung. Es fühlt sich nicht mehr so an, als würden die Muskeln die Übung halten, sondern das Strecken trägt dich. Wenn die Wahrnehmung bei der Ausdehnung ist, wird ein Asana letztendlich anstrengungslos. Es ist wie bei einem Raumschiff, das beim Start erst mal die Erdanziehung überwinden muss. Ist es weit genug von der Erde entfernt, bewegt es sich nahezu mühelos im Weltall.

In allen Asanas kann man sich „leicht“ vorkommen. Besonders bei den Asanas, die nicht sitzend oder liegend ausgeführt werden, ist es immer wieder ein besonderes Erlebnis, sich praktisch schwerelos zu fühlen. Bei den relativ einfachen Asanas geschieht es öfter, bei den fortgeschrittenen seltener, dafür ist es dann umso überraschender und beglückender. Leider bleibt diese Leichtigkeit nicht erhalten, sondern muss immer wieder neu erworben werden. Die schwankende körperliche oder geistige Verfassung lässt uns an manchen Tagen die einfachsten Dinge als schwer erscheinen.

Aber selbst an „guten“ Tagen fühlt man sich am Beginn des Übens oft erst mal schwer, egal ob man auf den Füßen, den Händen oder dem Kopf steht. Da hilft es, sich auf die Technik zu besinnen, auf die korrekte Ausrichtung zu achten und das, was man über die sinnvolle Ausübung von Kraft weiß, in die Tat umzusetzen.

Da wir alle anatomisch sehr ähnlich gebaut sind, gibt es für jedes Asana eine für alle Menschen nahezu gleiche ideale Position der Knochen und Gelenke. Der Yogameister B. K. S. Iyengar hat seit seiner Jugendzeit sein Leben im wesentlichen in den Dienst der Aufgabe gestellt, die Form zu finden, in welcher Asanas und Pranayama (Atemübungen) geübt werden können, so dass der Nutzen möglichst groß und die Gefahr einer Schädigung möglichst gering sind. Das Wissen, das er erarbeitet hat, ist von unschätzbarem Wert für alle Yogapraktizierenden, und seine technischen Empfehlungen zu den Asanas prägen immer mehr das Erscheinungsbild von Hatha-Yoga auf der ganzen Welt.

Ist der Körper nicht „behindert“ z. B. durch muskuläre Verkrampfungen oder Verletzungen, richtet er sich in der Regel bei den natürlichen Bewegungen und Haltungen des Alltags in der optimalen Weise aus. Sind wir verkrampft oder nicht kräftig genug, machen wir Ausweichbewegungen. Oft müssen z. B. die Rückenmuskeln Haltearbeit leisten, weil die Beinmuskeln dies nicht in ausreichender Weise tun. Viele Rückenbeschwerden verschwinden, wenn die Beine wieder „in Ordnung“ kommen. Yoga hilft, vorhandene „Behinderungen“ zu beseitigen und ermöglicht damit dem Körper, sich seiner innewohnenden Harmonie entsprechend elegant zu halten und zu bewegen.

In Indien gibt es den Ausdruck „gracious as an elephant“. Es erscheint erst mal wie Spott, mit diesem massigen, schweren Tier verglichen zu werden. Aber ein sich im Trab bewegender Elefant kann durchaus den Eindruck von Leichtfüßigkeit vermitteln. Im natürlichen gesunden Zustand bewegen sich seine Körperteile in funktioneller Harmonie. Alles ist an seinem richtigen Platz. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Elefant sich leicht vorkommt. Zu welchem Zweck sollte die Natur in ihm das Gefühl von Schwere entstehen lassen?

Wenn wir uns schwer fühlen, ist das eine Mitteilung, dass wir nicht mehr in unserem natürlichen Zustand sind. Vielleicht haben wir mehr Körpergewicht, als von der Natur vorgesehen ist, so dass unsere Gelenke und Muskeln überfordert sind. Oder wir haben in ungünstiger Weise eine anstrengende Körperhaltung eingenommen.

Ursprünglich fühlte sich die gerade Haltung beim Sitzen oder Stehen am besten an. Kinder sitzen, stehen und laufen im allgemeinen in den ersten Jahren mit geradem Rücken und offenem Brustkorb. Aus mancherlei Gründen entfernen wir uns davon, und wenn wir dann Yoga üben, z. B. in Tadasana (Bergstellung) einfach nur gerade stehen sollen, fällt uns das nicht leicht.

Auch Virabhadrasana II wirst du anfangs eventuell als anstrengend empfinden. Wenn du genügend übst, erhältst du als Geschenk das beglückende Gefühl von Leichtigkeit bei gleichzeitiger Stabilität.

 

Zum guten Üben gehört neben der dem Körper angemessenen Haltung auch der sinnvolle Einsatz der Muskeln. Zum einen bringen sie die Knochen in die richtige Position und halten sie dort. Zum anderen unterstützt das korrekte Anspannen in zweifacher Weise die gewünschte Dehnung.

Das Anspannen eines Muskels führt nämlich sowohl funktionell als auch reflektorisch zur Entspannung des Antagonisten, des Muskels, der für die entgegengesetzte Bewegung zuständig ist. Wenn man den Trizeps anspannt, wird der Arm im Ellbogen gestreckt. Durch diese Bewegung wird der Bizeps gedehnt, entspannt. Aber schon durch die Absicht, den Trizeps anzuspannen werden Signale an den Bizeps gesendet, loszulassen, sich zu entspannen. Eine Energiespareinrichtung des Körpers, die verhindern soll, dass man gegen seine eigene Kraft arbeiten muss, wenn man sich bewegen will.

Sind viele Muskeln verspannt, entsteht also oft deshalb ein Gefühl der Angestrengtheit, weil man bei Bewegungen dauernd auch noch gegen seinen eigenen Widerstand angehen muss. Da Yoga auf fast alle Vorgänge im Körper einen heilenden Einfluss ausübt, ist anzunehmen, dass durch regelmäßiges Üben auch diese reflektorische Entspannung des Antagonisten besser funktioniert. Korrektes Anspannen hilft also beim Entspannen.

 

Beim Üben von Virabhadrasana II achte auf die Stellung deiner Füße. Für die meisten stehenden Übungen ist es am besten, die Füße mit Hilfe einer gedachten „Fuß-Linie“ in folgender Weise auszurichten :

  • der „vordere“ Fuß, das ist der zusammen mit dem Bein um 90 Grad auswärts gedrehte, steht der Länge nach auf dieser Linie,
  • der hintere Fuß ist leicht einwärts gedreht und steht so, dass die Linie durch die Mitte des Fußgewölbes verläuft.

Halte jetzt Virabhadrasana II einige Zeit auf jeder Seite.

  • Wähle den Abstand zwischen den Füßen so, dass du den Unterschenkel des gebeugten Beins senkrecht und den Oberschenkel waagerecht halten kannst. Atme. (Bild oben)
    Im Lauf der Zeit integriere die folgenden Details in dein Üben.
  • Hebe die Fußgewölbe.
  • Halte das Gewicht am vorderen Fuß fast ausschließlich auf der Ferse.
  • Am hinteren Fuß drücke die Ferse nach unten und bleibe mit der Außenkante des Fußes am Boden.

 

Die große Bedeutung der stehenden Übungen im Iyengar-Yoga liegt hauptsächlich in der Kräftigung und Dehnung der Beine, was wiederum die Hüftgelenke freier werden lässt und den Rücken entlastet. Sowohl die Kräftigung als auch die Dehnung führen anfangs zu intensiven Gefühlen, was viele Yoga-Interessierte von Yoga generell oder vom Iyengar-System im Besonderen Abstand nehmen lässt. Wer jedoch motiviert genug ist, diese Gefühle anzunehmen, wird bald von der positiven Wirkung überzeugt sein und im Alltag die Leichtigkeit und bessere Beweglichkeit spüren. Anfangs gilt es, die grobe äußere Form halten zu können. Dann kommen die Details, deren genaue Beachtung sich auszahlt.

 

Wesentliche Punkte für das gebeugte Bein sind die Position des Knies und die Richtung des Oberschenkels.

  • Lass das gebeugte Knie nicht nach vorne abweichen (zur Innenseite des Fußes). Halte den Oberschenkel und die Gesäßhälfte dieser Seite möglichst in der gleichen Ausrichtung wie die Fuß-Linie.

Bild 2 zeigt eine Haltung, in der die Leisten nicht geöffnet sind und die dem Knie im Lauf der Zeit schaden kann. Auf Bild 3 siehst du eine bessere Haltung.

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 Bild2                   Bild 3

 

 

Bei vielen Menschen offenbart sich in dieser Übung die Tendenz zu einem mehr oder weniger ausgeprägten Hohlkreuz wie ebenfalls auf Bild 2 zu sehen. Das Steißbein ist zu weit hinten, die Gesäßmuskeln sind etwas angehoben, der untere Rücken ist gestaucht.

Virabhadrasana II macht deutlich, wie sehr die Beine, die Kraft und die Dehnbarkeit der Oberschenkelmuskeln mit der Haltung und dem Befinden des Rückens zusammenhängen. Kippt man das Becken nach hinten, nimmt also die Gesäßmuskeln nach unten, um den Rücken nach unten zu verlängern, wird es wesentlich schwieriger, die Beine korrekt zu halten. Die Muskeln an der Innenseite der Oberschenkel ziehen an den Knien. Ungeübte lassen dann das gebeugte Knie nach vorne abweichen oder beugen das hintere Knie oder beides. Da hilft nur üben.

Dieses Asana ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Innenseiten der Oberschenkel zu dehnen. Heiße sie willkommen, anstatt das Dehngefühl mit negativen Attributen zu versehen.

  • Achte noch einmal darauf, dass das vordere Knie genau über der Ferse ist, und strecke das hintere Bein. Bewege dann die Gesäßmuskeln nach unten und das Steißbein etwas nach vorne.

Wenn dir das sehr schwer fällt, übe Virabhadrasana II eine Zeit lang mit etwas kleinerem Abstand zwischen den Füßen und verzichte darauf, den vorderen Oberschenkel waagrecht zu halten.

 

Das Ziel ist nicht, den unteren Rücken mathematisch gerade zu machen. Eine leichte Wölbung der Wirbelsäule nach innen ist normal und anatomisch sinnvoll. Mit der Zeit wirst du ein Gefühl dafür entwickeln, wie du den unteren Rücken am besten halten kannst. Um die Kippbewegung des Beckens zu lernen, ist es hilfreich, den Bauch etwas einzuziehen. Lass das jedoch nicht zur Gewohnheit werden, sondern lerne, den Bauchbereich nach oben zu dehnen.

 

Die Betonung bei den stehenden Übungen liegt zwar in erster Linie auf der Haltung der Beine und des Beckens, aber jedes dieser Asanas bietet auch die Möglichkeit, etwas Gutes für die Schultern zu tun. Achtet man auf die korrekte Haltung der Arme, der Schulterblätter und des Kopfes, sind nach dem Üben einer Abfolge von stehenden Haltungen die meisten Schulterverspannungen wesentlich gemildert. Virabhadrasana II bietet eine gute Gelegenheit, das Zurückrollen der Schultern bei gleichzeitigem Heben des Brustbeins zu lernen. Diese Bewegung ist hier (und im täglichen Leben) eine wesentliche Hilfe für besseres Befinden im Schulterbereich.

  • Bei der nächsten Ausführung (zuerst mit dem rechten Knie gebeugt) halte die Schultern genau über der Fuß-Linie – insbesondere die linke, die tendenziell nach vorne abweichen will.
  • Drehe beide Oberarme so nach außen, dass die Beugen der Ellbogen fast nach oben weisen.
  • Nimm beide Schulterblätter kräftig nach unten, besonders das linke, welches eher zu hoch sein wird.

Bei gestreckten Armen wird durch das Drehen des Kopfes z. B. nach rechts der obere Teil des Trapeziusmuskels dieser Seite gedehnt. Das ist der üblicherweise verspannte Bereich, den die Fingerspitzen berühren, wenn die Hand neben dem Hals auf der Schulter liegt. Noch mehr entspannt wird er, wenn das Schulterblatt dieser Seite dabei gut nach unten gezogen wird.

Die Abbildung 4 zeigt noch eine in anderer Hinsicht ungünstige Schulterhaltung, Abbildung 5 eine bessere. Bei weniger Geübten ist bei der Ausführung nach rechts das rechte Schulterblatt eher hervorstehend und das linke flach. Entsprechend ist die Vorderseite des rechten Schultergelenks nicht geöffnet. Wenn du dir Bild 4 anschaust, fühle auch mit, wie eingeengt sich die linke obere Schulterpartie anfühlt.

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Bild 4

  • Drücke das rechte Schulterblatt fest an den Rücken (Bild 5). Strecke die Innenseite des rechten Arms mehr. Dann übe dies auch auf der anderen Seite.

 Bild 5

Der Umgang mit den Schulterblättern ist eine Wissenschaft für sich. Wer sich nicht aus Anatomiebüchern schlau gemacht hat, weiß in der Regel nicht, dass die „Befestigung“ der Arme am Rumpf im wesentlichen über die Schulterblätter geschieht. Der Oberarm sitzt mit seinem oberen Ende in der Gelenkpfanne an der Seite des Schulterblattes. Dieses wiederum ist über Bänder und Muskeln mit dem Rumpf verbunden. Die Haltung der Schulterblätter sowie die Kraft und Dehnbarkeit der daran ansetzenden Muskeln ist also von großer Bedeutung für das Befinden des Brustkorbs und die Beweglichkeit und Fähigkeiten der Arme.

Übe Virabhadrasana II noch einmal auf beiden Seiten, erinnere dich an die obigen Empfehlungen und nimm noch die folgende hinzu.

  • Spüre die Verbindung jedes der Arme auch zur Innenseite des jeweiligen Schulterblattes (die Seite, mit der das Schulterblatt an den Rippen anliegt). Strecke die Arme von dort. Mache jeden Arm einen Kilometer lang.

 

 

Die im Deutschen übliche Bezeichnung „Kriegerstellung“ wird diesem stolzen Asana gerecht. Der Krieger schützt sich, sein Haus und sein Land und weiß sich zu wehren, wenn er angegriffen wird. Er entscheidet sich für eine Sache, setzt dann seine ganze Kraft dafür ein und gibt sogar sein Leben, wenn es sein muss. Aber er verliert sich nicht dabei. Alles äußere Handeln geschieht in Verbindung mit seiner Mitte.

Diese Qualitäten können sich auch beim Üben von Virabhadrasana II entwickeln. Es ermöglicht die Erfahrung von Selbstbewusstsein bei gleichzeitiger Demut, von Kraft ohne Aggressivität und von Ausdehnung und Zentriertheit zugleich.


Anmerkungen

  1. a)   Der Sanskrit-Name dieser Übung setzt sich zusammen aus „Virabhadra“ (eine Heldenfigur der indischen Mythologie), und „asana“ (Haltung). Die Betonung liegt auf dem „i“ und dem ersten „a“ in „asana“ Das „h“ ist nur bei einer ganz korrekten Aussprache zu hören.
  2. b)   Für eine gute Beschreibung der grundlegenden Asanas nach der Iyengar-Methode siehe das ausgezeichnete Buch „Yoga-Gymnastik“ von S. Mehta et al., Christian Verlag, München

 


 

Dieser Artikel erschien in „YOGA aktuell“ Nr. 7, April/Mai 2001