z-Ustrasana

Ustrasana
(Kamel)

von Ernst Adams

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Bild 1

Forme einen hohen Bogen. Drücke die Unterschenkel auf den Boden und ziehe das Brustbein hoch. Lass den Kopf entspannt hängen.

 

Ustrasana ist eine Rückwärtsbeuge. In der vollendeten Form stellt es eine sehr intensive Beugung und Streckung der Wirbelsäule dar, aber auch Anfänger können nach geeigneter Vorbereitung recht früh damit beginnen, es zu üben.

Der Nutzen von Rückwärtsbeugen ist vielfältig. Der Brustkorb wird geöffnet, und das hilft, zu einer tieferen, freien Atmung zu kommen. Die oft verkürzte Bauchmuskulatur wird gedehnt, im Bauchraum wird mehr Platz geschaffen und die inneren Organe werden angeregt. Die Beugung der Wirbelsäule nach hinten wirkt der natürlichen Tendenz entgegen, sich mit zunehmendem Alter nach vorne zu krümmen. Es fällt dann leichter, eine gerade, aufrechte Haltung zu bewahren mit all den positiven emotionalen und körperlichen Vorzügen. Nicht zuletzt haben Rückwärtsbeugen sowohl körperlich als auch geistig einen sehr belebenden Effekt.

Wie oft im Leben, bekommt man auch hier nichts geschenkt. Rückwärtsbeugen sind anstrengend. Das Beugen nach hinten in Ustrasana dehnt die vorderen Oberschenkel, die Bauchmuskeln, die Zwischenrippenmuskeln und das Zwerchfell. Diese Bereiche sind bei den meisten Menschen verkürzt und die Dehnung wird zu einem guten Teil erst einmal als unangenehm empfunden. Außerdem erfordert es Arbeit, diese Beugung beim Üben zu halten und nicht zusammenzusinken.

Dazu kommt eventuell noch ein psychischer Widerstand, sich nach hinten zu beugen. Die meisten unserer Bewegungen, das Laufen und Greifen führen wir nach vorne aus, dahin, wohin wir schauen können. Wenn wir ohne den Kopf zu drehen, rückwärts gehen oder nach etwas fassen, sind wir nicht nur ungeschickter, es lässt sich auch eine Angst spüren vor dem Ungewissen. Wir könnten uns verletzen. Die Natur hat uns mit dieser Angst versehen, um uns zu schützen. Sie ist so natürlich wie die Angst vor großer Höhe, Dunkelheit und Alleinsein. Beim anfänglichen Üben von Ustrasana mag also diese Angst ein Hindernis darstellen, das überwunden werden muss.

Ein zweites beruht auf der körperlichen Schutzlosigkeit, in die man sich begibt. Wenn uns Gefahr droht, haben wir die Möglichkeit wegzurennen, gegen das Drohende zu kämpfen, oder wenn beides nicht möglich ist, uns so gut es geht zu schützen. Im letzteren Fall muss besonders der nicht durch Knochen abgeschirmte Bauchraum geschützt werden. Bei Gefahr krümmen wir uns nach vorne und ziehen uns zusammen. Angstsituationen lassen uns die Luft anhalten, das Zwerchfell und die sekundären Atemmuskeln verkrampfen sich. Genau die entgegengesetzte Bewegung geschieht jedoch in Ustrasana, der Brustraum, Bauch und Kehle werden gedehnt und geöffnet. Ein vielleicht gegen diese Öffnung bestehender innerer Widerstand kann dann das Üben von Ustrasana erschweren.

Gerade das Üben dessen, was einem schwer fällt, ist jedoch oft besonders wertvoll. Aufgrund der Verknüpfung von seelischer und körperlicher Verfassung besteht die begründete Aussicht, dass durch Beseitigung der körperlichen Verspannung auch die dahinter steckende emotionale Verkrampfung sich löst oder zumindest ihre unangenehmen Auswirkungen gelindert werden.

 

Vorbereiten

Ustrasana sollte man nicht unaufgewärmt üben. Stehende Haltungen am Anfang einer Übungsstunde zu machen, ist fast immer gut, und sie können hier helfen, die Hüftgelenke und Leisten zu öffnen und den Brustkorb für die Rückwärtsbeugung vorzubereiten. Sitzen in Virasana (Heldensitz) oder Liegen in Supta virasana ist geeignet, die vorderen Oberschenkelmuskeln zu dehnen, was das Kippen des Beckens nach hinten erleichtert. Für eine detaillierte Beschreibung dieser Übungen siehe das ausgezeichnete Buch zur Iyengar-Methode „Yoga-Gymnastik“ von S. Mehta et al.

Eine vereinfachte Version von Setu bandha sarvangasana (Schulterstandbrücke, Bild 2) ist eine gute Möglichkeit, mit der Form von Ustrasana und einem Teil der auftretenden Empfindungen vertraut zu werden.

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Bild 2

Drücke die Fersen fest auf. Hebe das Steißbein und das Becken als Ganzes. Drücke die Arme auf den Boden und öffne den Brustkorb.

 

Um die Knie vor unsachgemäßer Belastung zu schützen, halte die Füße leicht einwärts gedreht, und achte darauf, dass die Unterschenkel senkrecht sind und die Oberschenkel weitgehend parallel bleiben. Damit der Nacken nicht überdehnt wird, kannst du eine Decke zusammengefaltet unter die Schultern und Arme legen.

  • Spanne die Gesäßmuskeln kräftig an, um das Becken zu heben. Drehe das Becken so, dass das Steißbein möglichst hoch kommt.

Diese Bewegung zusammen mit dem Anspannen der Gesäßmuskeln ist in allen Rückwärtsbeugen extrem wichtig, um den unteren Rücken vor Stauchung zu schützen. Ziehe dabei nicht den Bauch ein, sondern dehne ihn zusammen mit dem vorderen Brustkorb Richtung Kopf. Spüre und intensiviere die Öffnung der Leisten.

  • Drücke den äußeren Rand der Schultern fest auf die Unterlage. Drücke dabei nicht die Schulterblätter zusammen.
  • Hebe die Rippen nahe der Achselhöhlen an.

Übe diese Haltung einige Male, bis du sie „verstehst“. Damit meine ich, dass du bei angemessen kräftigem Muskeleinsatz die Dehnung und Öffnung als sinnvoll wahrnimmst, atmen kannst und kaum wirklich unangenehme Empfindungen hast.

 

Üben

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Bild 3

Strecke dich von den Knien bis zum oberen Ende des Brustbeins. Spanne die Gesäßmuskeln an und ziehe sie nach unten. Gleichzeitig drücke die Oberschenkel nach hinten.

 

Bild 3 zeigt, wie man sich in Ustrasana begibt. Man kann diese Haltung aber auch als Vorstufe betrachten und damit besonders üben, die Dehnung von den Knien bis zum oberen Brustkorb als durchgehend zu empfinden. Spüre die Stellen auf, die sich nicht an der Dehnung beteiligen, und dehne dich dort auch.

  • Bringe dein Gewicht zum großen Teil auf die Knie, und strecke die Vorderseite des Körpers nach oben.

Halte die Knie und Füße etwa 10 cm auseinander. Drücke die Oberschenkel und das Becken etwas nach vorne und spüre insbesondere die Dehnung an den vier Bereichen Oberschenkel, Leisten, Bauch und Brustkorb. Lege den Kopf etwas zurück, aber beuge dich kaum nach hinten.

  • Drehe das Becken etwas nach hinten (Steißbein nach unten und nach vorne).

 

Wenn du dann in Ustrasana (Bild 1) gehst, nimm nicht einfach die Hände hinten runter, sondern behalte dabei die Dehnung an der Vorderseite des Körpers bei, das Gefühl, dass du einen hohen Bogen formst. Stütze dich zunächst mit den Händen auf dem Gesäß ab, beuge dich mit geöffnetem Brustkorb nach hinten und bringe die Hände eine nach der anderen auf die Fersen, so dass die Finger nach hinten weisen. Zuletzt lege den Kopf zurück.

Bei Menschen, die zu einer Überfunktion der Schilddrüse neigen, kann dies zu einer unerwünscht starken Anregung der Schilddrüse führen. In diesem Fall, oder wenn aus anderen Gründen die Kehle zu stark gedehnt wird, halte den Unterkiefer locker und den Mund leicht geöffnet.

Wenn das Zurücklegen des Kopfes im Nacken unangenehm ist, halte entweder den Kopf hoch oder stelle einen Stuhl von entsprechender Höhe bereit, um den Kopf darauf abzulegen.

  • Hebe das Brustbein an.

Auch das trägt wesentlich zu einem freieren Gefühl im Nacken bei, besonders wenn du dabei die Schulterblätter von den Ohren weg Richtung Hüfte drückst. Hilfreich kann auch sein, beim Zurücklegen des Kopfes langsam vorzugehen und dabei den Hals an der Rückseite bewusst Stück für Stück zu verlängern.

  • Bringe das Becken nach vorne über die Knie.
  • Ziehe die Vorderseiten der Oberschenkel nach oben, und dehne den Bauch Richtung Kopf.

Hebe das Schambein und intensiviere die Dehnung an den Oberschenkeln. Halte sie senkrecht. Bringe etwas mehr Gewicht auf den vorderen Rand der Knie und drücke ihn auf den Boden. Drücke die unteren vorderen Rippen nicht zu sehr nach oben, sondern ziehe sie weg vom Bauch.

  • Ohne die Öffnung in den Leisten zu verlieren, drücke die Innenseiten der Oberschenkel nach hinten, die Außenseiten der Unterschenkel nach unten.

Diese Bewegung, oder zumindest die Aktivierung der entsprechenden Muskeln, hilft manchen gegen unangenehme Gefühle in den Knien.

  • Drücke die Schienbeine und Fußrücken die ganze Zeit fest auf den Boden.

Das ist anstrengend, aber es bringt einen deutlichen Impuls in den ganzen Körper, sich nach oben zu wölben. Die Kraft, mit der du nach unten in den Boden drückst, hat eine Gegenkraft zur Folge, die nach oben wirkt. Dieses Prinzip kann man in vielen Asanas anwenden: den Teil des Körpers, der am Boden ist, fest auf den Boden aufzudrücken. Die Folge ist eine Verlängerung und Streckung des Körpers vom Boden weg.

  • Halte die Gesäßmuskeln die ganze Zeit angespannt, besonders am unteren Rand.

Wie schon oben erwähnt, ist diese Anspannung wichtig, um die Lendenwirbelsäule zu schützen. In der Tat sind die Gesäßmuskeln funktionell Strecker des unteren Rückens. Wenn sie an den Beinen als Fixpunkt ansetzen, ziehen sie den hinteren Bereich des Beckens und Rückens nach unten in die Länge.

  • Drehe die Arme nach außen.

Rolle dabei die Schultern etwas zurück, und hebe die Rippen an den Achselhöhlen. Wie bei fast allen Bewegungsanweisungen musst du auch hier das richtige Maß herausfinden. Insbesondere drücke nicht die Schulterblätter übertrieben zusammen.

Bleibe in Ustrasana eine halbe Minute oder länger, wenn es geht. Zum Hochkommen stütze dich mit einer Hand auf dem Gesäß ab.

Erleichterung

Vielen Menschen fällt es anfangs schwer, in Ustrasana mit den Händen an die Fersen zu kommen. Es hilft, die Füße auf die Zehen zu stellen. Manchmal hat dies jedoch eine Stauchung im unteren Rücken zur Folge. Stattdessen kannst du auch die Füße ausgestreckt lassen, sie aber auf eine oder mehrere gefaltete Decken legen.

Auch die Ausführung wie in Bild 4 mit dem Kopf an der Wand ist für viele Anfänger eine Erleichterung, besonders im Nacken. Diese Übungsweise kannst du auch wählen, wenn dir das Beugen nach hinten ins Leere sehr unangenehm ist.

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Bild 4

Bringe das Becken nach vorne und dehne Bauch und Brustkorb nach oben. Lehne dich nicht gegen die Wand, sondern drücke den Kopf etwas gegen die Wand, um den Körper von der Wand weg zu öffnen.

 

  • Drücke den Scheitelpunkt etwas gegen die Wand, und öffne damit den Brustkorb mehr.

Dadurch, dass der Kopf fixiert ist, kannst du gut und gezielt an der Haltung des Beckens und des Oberkörpers arbeiten. Um aus dieser Haltung wieder hochzukommen, drücke dich mit einer Hand oberhalb des Kopfes von der Wand weg.

 

Intensiver

Wegen der starken Dehnung an den Oberschenkeln und den Leisten neigen wir alle dazu, das Gewicht von den Knien weg zu bringen und das Becken zurück zu nehmen. Wenn du Ustrasana mit den Oberschenkeln an einer Wand (Bild 5) machst, wird das deutlich. Der Kontakt mit der Wand hilft außerdem, präsent zu bleiben in der Aufwärtsdehnung der Oberschenkel.

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Bild 5

  • Bewege das Steißbein zur Wand hin.
  • Hebe auch die Rippen am Rücken hoch.
  • Drücke die Oberschenkel gegen die Wand, bleibe auch mit dem Schambein nahe an der Wand und bewege es nach oben.
  • Wenn du eine noch intensivere Dehnung der Beine und Leisten möchtest, lege eine mehrfach zusammengelegte Decke unter die Knie als Erhöhung.

Mühelose Mühe

In der Regel fällt die Ausführung einer Übung jedes Mal etwas leichter, wenn du sie mehrmals hintereinander übst. Bei den anstrengenderen Asanas wie Ustrasana musst du eventuell eine angemessene Pause einlegen, um dem Gefühl, nicht mehr zu können, Raum zu geben. Gib diesem Gefühl Zeit, auch wieder zu vergehen. Die Muskeln fühlen sich zwar unter Umständen kraftlos an, aber du kannst auch die Erfahrung machen, dass sie aufgrund der Anforderung, die an sie gestellt werden, besser aufgewärmt und durchblutet sind und ihre Aufgabe dann sogar leichter erfüllen. Außerdem nimmt mit der wiederholten Dehnung der verkrampften Bereiche der Widerstand ab, den sie zu überwinden haben.

Außer wenn ich sehr gut vorgedehnt bin, fällt mir das erste Ustrasana immer schwer. Beim zweiten und dritten Mal wird es schon leichter, und es ist jedes Mal beglückend, nach der Überwindung der anfänglichen Widerstände zu erleben, wie die Form immer müheloser gelingt.

Wenn du ein Asana verstehen willst, ist es gut, es nicht nur eine Zeit lang täglich zu üben, sondern auch jeweils mehrmals hintereinander. Wenn dein Fühlen dann nicht mehr so von Anstrengung und unangenehmen Dehngefühlen dominiert ist, bist du mit der Zeit immer mehr in der Lage, die tiefere Qualität dessen wahrzunehmen, was du da gerade tust.

 


Anmerkung

Der Sanskrit-Name dieser Übung setzt sich zusammen aus „ustra“ (Kamel) und „asana“ (Haltung). Das „s“ in „ustra“ wird wie „sch“ ausgesprochen, und die Betonung liegt auf dem ersten „a“ in „asana“.

Ernst Adams ist zertifizierter Iyengar-Yoga-Lehrer und unterrichtet seit 1984 im Raum Südhessen. Er ist auch tätig in der Yogalehrer-Ausbildung des „Berufsverbandes der Iyengar-Yoga-Vereinigung Deutschland e. V.“

Internet: www.yoga-praxis.de. 


 

Dieser Artikel erschien in „YOGA aktuell“ Nr. 10, Oktober/November 2001.