z-Salabhasana

Salabhasana
(Heuschrecke)

 von Ernst Adams

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Strecke die Beine nach hinten und die Wirbelsäule nach vorne.
Betone diese Streckung und weniger das Anheben der Beine oder des Oberkörpers.

 

Dieses Asana lässt mein Herz höher schlagen. Nicht zuletzt deshalb, weil es anstrengend ist. Am Anfang besteht die Arbeit im wesentlichen darin, den Oberkörper und die Beine zu heben und hoch zu halten. Das beansprucht und stärkt insbesondere die Rückenstrecker, zwei kräftige, parallel zur Wirbelsäule verlaufende Muskeln, die vom Kreuzbein bis zum Kopf reichen. Im Stehen und Sitzen haben sie die Aufgabe, uns aufrecht zu halten oder den Oberkörper nach hinten zu beugen. Besonders im Alter krümmt sich unsere Wirbelsäule eher nach vorne, und die Aufrichtung des Körpers und Stärkung des Rückens wird zunehmend wichtiger.

Salabhasana (Bild 1) gehört zur Gruppe der Rückwärtsbeugen. Diese weiten den Brustkorb, dehnen die Vorderseite der Wirbelsäule und öffnen den Bauchbereich. Sie regen den Kreislauf an, beleben den ganzen Körper und – zumindest in meiner Erfahrung – wirken sie stimmungsaufhellend. An den Tagen, an denen ich morgens Rückwärtsbeugen übe, fällt mir alles leichter. Sie geben mir Energie, auch weniger attraktive Arbeiten zu erledigen.

Die Belohnung hat jedoch ihren angemessenen Preis. Besonders die anspruchsvolleren Übungen dieser Art erfordern einen hohen Krafteinsatz und Aufmerksamkeit. Ihre Attraktivität ist verlockend und herausfordernd. Aber es braucht Erfahrung und einen klugen Umgang mit dem eigenen Körper, um diese Übungen zu meistern und sie ohne Verletzung auszuführen. Hier ist der korrekte und kräftige Einsatz der Arme und Beine besonders wichtig, um insbesondere den unteren Rücken zu schützen.

Salabhasana ist eine milde Rückwärtsbeuge. Nicht das Beugen nach hinten bzw. oben steht im Vordergrund, sonst geht zuviel von der Ausdehnung verloren. Wesentlich ist die horizontale Streckung. Dieses Asana ist in seiner Struktur Tadasana (Bergstellung) ähnlich, und die Kraftausübung in den beiden Asanas ist fast identisch. Eine langjährige Schülerin von B. K. S. Iyengar, Dona Holleman, sagte einmal sinngemäß, wer Tadasana verstünde oder korrekt übte, verstünde auch alle anderen Asanas. Um diese Aussage in ihrer ganzen Tiefe zu verstehen, braucht es eine langjährige Übungspraxis. Aber auch als Anfänger können wir aus Tadasana lernen, wie sich die gestreckten Beine anfühlen sollen, und es lehrt uns, darauf zu achten, dass wir uns weder im Nacken noch in der Lendenwirbelsäule zu sehr nach hinten beugen. Die in Tadasana vertikale Streckung – durch die Beine nach unten, durch die Wirbelsäule und den Kopf nach oben – ist ein wichtiger Aspekt in Salabhasana, hier eben in der Horizontalen. Diese Streckung nimmt auch etwas von der Anstrengung weg, die beim reinen Anheben oder dem Beugen nach hinten entsteht. Man fühlt sich leichter – bis hin zu einem Gefühl des Schwebens.

 

Üben

Als Unterlage empfiehlt sich eine zusammengelegte Decke oder eine dickere Matte, da es sonst am Schambein oder den Hüftknochen unangenehm weh tun kann. Wenn du langsam in die Übung gehst, sind keine besonderen Vorübungen erforderlich, auch wenn es natürlich immer das Üben vereinfacht, aufgewärmt zu sein. Stehende Übungen, Hund und Heldensitz bereiten deinen Körper auf die Haltung gut vor. Du nimmst die Feinheiten der Übung deutlicher wahr und kannst die erforderlichen Muskeln besser einsetzen.

Salabhasana beginnt bereits beim Hinlegen.

  • Dehne den Bauch aus. Wenn du liegst, hebe also den Brustkorb etwas an, und bewege die Rippen ein Stück weiter nach vorne.Das schafft mehr Platz für die inneren Organe und macht es einfacher, die Übung mit einem Gefühl des Gestrecktseins auszuführen. Auch sind dadurch die Schultern schon ein wenig angehoben und der Brustkorb geöffnet.Dann strecke die Arme parallel zum Körper nach hinten mit den Handflächen nach oben weisend. Die korrekte Schulterhaltung entspricht dabei der in Tadasana. Weder lasse die Schultern nach vorne hängen, noch ziehe sie übertrieben hinten zusammen.
  • Halte die Schulterblätter in ihrem normalen Abstand.Anfänger haben eher die Tendenz, die Schulterblätter näher zusammen zu bringen oder sie zum Kopf hin zu ziehen. Achte daher auf das Gefühl im Nacken. Auch wenn der Kopf etwas zurückgeneigt ist, sollte sich der Nacken nicht eingezogen oder eng anfühlen.
  • Ziehe die Schulterblätter in Richtung Hüfte und drücke sie fest an den Rücken.Als Vorbereitung für die vollständige Ausführung von Salabhasana kannst du zuerst die „Halbe Heuschrecke“ (Bild 2) üben. Dabei bleiben die Beine am Boden, und die Gefahr einer Stauchung im unteren Rücken ist geringer. Drücke dabei die Beine auf den Boden und strecke sie nach hinten.

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Drücke die Beine und die Füße auf den Boden.
Beim Anheben des Oberkörpers lasse die Rückseiten der Beine und die Fersen nicht näher zusammen kommen.
Ziehe mit Hilfe der Arme die Schultern etwas zurück.

 

  • Drehe das Becken so, dass das Steißbein sich zum Boden hin bewegt und das Schambein auf den Boden drückt.Spanne dazu die Gesäßmuskeln an. Der Bereich des Kreuzbeins sollte sich dabei in Richtung Füße bewegen. Besonders wenn die Beine wie hier fixiert sind, hilft diese Arbeit der Gesäßmuskeln, den unteren Rücken zu strecken und Stauchung zu verhindern.Bleibe eine halbe Minute oder länger in der Übung und betone die Streckung der Wirbelsäule. Komme also nicht immer höher mit dem Oberkörper, sondern dehne dich der Länge nach aus.
  • Bewege das Brustbein nach vorne und weite den oberen Brustkorb. Ziehe die Schlüsselbeine zur Seite.Ergänze die Bewegung des Brustbeins, indem du die Brustwirbelsäule etwas nach vorne, also nach innen in den Körper hinein und nach oben bringst. Auch hier musst du wieder darauf achten, dadurch nicht den unteren Rücken zu stauchen.In der „Halben Heuschrecke“ kannst du erstmal lernen, das Strecken der Beine mit dem Strecken der Wirbelsäule zu koordinieren. Halte die Füße etwas auseinander, das erleichtert die oben beschriebene korrekte Haltung des Beckens.
  • Strecke die Beine besonders an der Rückseite.Die Verführung ist groß, die Knie nicht ganz zu strecken oder die Energie fast nur in das Heben oder Strecken der Füße zu bringen. Aber der Rücken braucht – wie in vielen Asanas – den Gegenzug der Beine. Strecke diese also so, dass die Kniekehlen ganz geöffnet sind und auch die Oberschenkelrückseiten arbeiten.

 

Nun bist du bereit, Salabhasana wie in Bild 1 zu üben. Hebe Oberkörper, Arme und Beine gleichzeitig mit einem nicht zu tiefen Einatmen und atme dann normal weiter.

  • Ziehe die Arme nach hinten.
    Betone auch hier wie bei den Beinen die Rückseite. Strecke die Ellbogen und ziehe mit Hilfe des Trizeps die Schultern etwas zurück.
  • Verkrampfe nicht die Handgelenke, Handflächen oder Finger.
    Die Arme sollen sich lang anfühlen, die Handgelenke und Hände eingefügt in die gerade Haltung und Streckung der Arme. Strecke dich durch die Fingerspitzen hindurch.

Weitere Tipps

Bei vielen Asanas, aber insbesondere bei den Rückwärtsbeugen, drehen sich die Beine oft unzulässigerweise nach außen, d. h. so, dass die Rückseiten näher zusammen kommen. Dies hat unter Umständen zur Folge, dass der untere Rücken noch enger wird, als er sowieso schon ist. Diese Drehung kann man in Salabhasana gut an der Bewegung der Vorderseiten der Beine wahrnehmen (sie gehen auseinander), an den Innenseiten der Knie (sie sinken) und an den Füßen (die Fersen sind näher zusammen als die großen Zehen).

  • Halte die Vorderseiten der Oberschenkel genau gerade nach unten ausgerichtet.Das eventuell erforderliche Einwärtsdrehen der Beine darf man auch nicht übertreiben. Das hat spürbar ungute Auswirkungen im Lendenbereich, und man kann den unteren Rücken weniger gut gestreckt halten. Du musst also auch hier das richtige Maß finden.
  • Drücke die Innenseiten der Knie nach oben.Das ist nicht dasselbe wie die Beine nach innen zu drehen. Eher sollst du die Knieinnenseiten auf gleiche Höhe mit den Außenseiten bringen. Dieses Drücken aktiviert außerdem die Innenseiten der Oberschenkel und hilft, diese gestreckt zu halten.Die korrekte Haltung der Füße und sie so einzusetzen, dass sie der Übung dienen, ist hier eine besondere Kunst. Leicht treten Verkrampfungen oder verdrehte Haltungen auf, so dass keine Rede davon sein kann, dass die Füße integriert sind.Um dein Verständnis für die Bedeutung der Füße zu vertiefen, übe Salabhasana einmal mit den beiden folgenden entgegengesetzten Haltungen der Füße: angewinkelt, also mit den Fersen wegdrückend, und mit den Zehen weggestreckt wie im Ballett üblich. Fühle, wie sich die Fußhaltung jeweils auf die Knie, die Beine, den Hüftbereich und den unteren Rücken auswirken. Fühle die Vorteile und die Nachteile.

Im Iyengar-Yoga erhält der Schüler sehr präzise Anweisungen für nahezu jeden Körperteil. Es ist jedoch keineswegs so, dass jede Abweichung davon auf jeden Fall und ausschließlich schlecht ist. In seiner Übungspraxis von über 65 Jahren hat B. K. S. Iyengar wahrscheinlich in allen Asanas fast alles ausprobiert und erkundet, was möglich ist. Ein Lernender braucht erstmal eine feste Form, bevor er sich auf eigene Verantwortung auf seinen vielleicht davon abweichenden Weg begibt. Die von Iyengar jetzt für die Asanas empfohlene Form ist die im allgemeinen beste und sicherste Art, diese zu üben. Aber eine wesentliche Vertiefung des Verständnisses erreicht man, wenn man von dieser Form ab und zu abweicht und anderes ausprobiert. Im Unterricht lernt man die vorgegebene Form, beim Üben zuhause im stillen Kämmerlein kommt oft erst das Verstehen. Auch Iyengar hat zum Verändern einer Übung keine rigide Einstellung sondern sagte einmal dazu: „See what you get, see what you lose.“

 

Meine Empfehlung für die Fußhaltung und -aktivität ist, die Streckung der Innenseiten der Beine am Fußgelenk aufzuteilen, so dass sie in Form einer Gabelung sich zur Ferse und zum großen Fußballen hin fortsetzt. Das kannst du im aufrechten Sitzen üben. Hebe dazu ein Bein und drehe es leicht auswärts. Dann strecke die Innenseite von der Leiste über das Knie bis zum inneren Fußknöchel und drücke den inneren Rand der Ferse und den inneren Rand des Großzehballens weg. Mit dieser Aktivität und diesem Gefühl übe dann Salabhasana.

  • Halte den Bereich zwischen Ferse und innerem Fußknöchel offen. Knicke also nicht den Fuß nach innen.Mit Hilfe eines Helfers kannst du weitere Aspekte der Beinarbeit erfahren, die dich darin unterstützen, den durchgehenden Spannungsbogen in Salabhasana herzustellen. In den drei folgenden Vorschlägen leistet der Helfer nur Widerstand, während du Salabhasana ausführst, und du arbeitest dagegen. Dadurch aktivierst du Muskeln, die du vorher weniger oder gar nicht benutzt hast, die dir aber helfen können, dich mehr zu strecken, den Rücken noch besser mit den Beinen zu verbinden und dadurch dessen Belastung zu verringern.
  1. a)   Der Helfer hält seine Handflächen gegen deine Handgelenke, und du drückst nach oben.Benutze die zusätzliche Kraft, die du ausübst, um dich mehr zu strecken und die Schultern vorne mehr zu öffnen – nicht um immer höher zu kommen.
  1. b)   Der Helfer leistet in gleicher Weise Widerstand an deinen Fersen.Dies hilft dir, deine Beine viel besser zu strecken. Es öffnet die Kniekehlen und aktiviert die Rückseiten der Oberschenkel.
  1. c)   Der Helfer steht mit leicht gegrätschten Beinen über deinen Unterschenkeln so, dass du mit deinen Beinen von innen gegen seine drücken kannst.

Damit erlebst du den Einsatz der Muskeln außen an den Oberschenkeln. Ich habe es öfter erlebt, dass selbst langjährige Schüler erst nach einer dieser oder allen Hilfestellungen den Eindruck hatten, sie verstehen, worum es bei Salabhasana geht.

Eine etwas intensivere Variante von Salabhasana ist auf Bild 3 zu sehen. Die Hände sind am Hinterkopf verschränkt und die Ellbogen angehoben. Beim Zurücknehmen der Ellbogen musst du darauf achten, die Schulterblätter kräftig zurückzuziehen, sonst wird der Nacken eventuell gestaucht.

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Diese anspruchsvolle Variation wird als „Makarasana“ (Krokodil) bezeichnet.
Sie stärkt insbesondere den oberen Rücken.

 

Danach

Im Anschluss an Rückwärtsbeugen sollten auch erfahrene Übende etwas tun, um eventuelle Verspannungen im Rücken zu lösen. Iyengar rät davon ab, unmittelbar an intensive Rückwärtsbeugen Vorwärtsbeugen zu üben, sondern empfiehlt als eine Möglichkeit, Drehungen zu machen. Er bezeichnete sie einmal als „neutral gear“ (Leerlauf beim Auto zwischen Rückwärts- und Vorwärtsgang).

In meiner eigenen Praxis habe ich es bisher immer auch als ausreichend erfahren, die Beine in Supta padangusthasana I und II genügend lange, z. B. jeweils zwei Minuten zu strecken. Auf dem Rücken liegend, nimmst du mit Hilfe eines Gürtels ein Bein hoch, bzw. bringst es dann zur Seite auf den Boden oder auf eine entsprechend hohe vorbereitete Unterlage. Von erfahrenen und gelenkigen Übenden wird auch empfohlen, anschließend noch Spagat (Hanumanasana) zu üben (oder wieder einmal zu probieren).

 


 

Anmerkung

Der Sanskrit-Name dieser Übung setzt sich zusammen aus „salabha“ (Heuschrecke) und „asana“ (Haltung). Das „s“ wird wie „sch“ gesprochen, und die Betonung liegt auf dem dritten „a“. Das „h“ ist nur bei einer ganz korrekten Aussprache zu hören.


 

Dieser Artikel erschien in „YOGA aktuell“ Nr. 11, April/Mai 2002.