Lob und Tadel im Yogaunterricht
von Ernst Adams
Iyengar-Yoga ist körperlich anspruchsvoller als viele andere Yogarichtungen.
Manche bezeichnen es als „hart“. Aber muss ein/e Iyengar-Lehrer/in im Unterricht deswegen hart sein?
Ein Asana ist nie perfekt. Hat es trotzdem einen Sinn, Schüler für die Ausführung ihrer Übungen zu loben?
„Well done! Inhale, come up!“ hieß es manchmal nach Trikonasana. „Please bend down!“ folgte als Einladung, in Uttanasana zu gehen. Freundliche Worte dieser Art hörte ich in den achtziger Jahren von Kofi Busia, einem aus Ghana stammenden Iyengar-Yoga-Lehrer mit Senior Advanced Certificate. Sie schufen eine angenehme Atmosphäre. Dass das Üben nicht nachlässig wurde, dafür wusste Kofi schon mit feinem Humor zu sorgen.
Als ich 1990 das erste Mal zum Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institute nach Pune flog, war ich durch Berichte schon vorbereitet auf den damals recht barschen Unterrichtsstil am Institut. Es war geradezu Mr. Iyengars Markenzeichen, streng, kommandierend, manchmal schlagend und auf jeden Fall nicht zufrieden zu sein mit dem, was seine Schüler bieten. Dies beschreibt die beiden Pole meiner Unterrichtserfahrung.
Mr. Iyengar war im Unterricht sprichwörtlich „Feuer und Flamme“. Gelegentlich hat er sogar schon um Verständnis dafür gebeten, dass er sich nun mal nicht bremsen könne, wenn es um Yoga geht. Wir als Iyengar-Yoga-Schüler profitieren natürlich davon, dass er seit seiner Jugend mit unglaublichem Eifer und Hingabe geübt und unterrichtet hat und seine Erkenntnisse schließlich weltweite Anerkennung gefunden haben.
Für Yogalehrer besteht jedoch die Verführung, seinen Stil zu imitieren im Glauben, dass dies die beste oder sogar die einzig richtige Art sei, Iyengar-Yoga zu unterrichten. Der/die gut ausgebildete Lehrer/in weiß, wie die Übungen zu machen sind (sattvic), die Körper der Schüler sind träge und faul (tamasic), also muss er/sie mit der Peitsche arbeiten (rajasic). Noch heute hört man von Ausbildungsgängen, in denen wie in Pune geschrien und geschimpft wird, so als wären Schüler nur mit Zwang und Demütigung zum richtigen Üben zu bringen. Oft liegt dieses Verhalten wahrscheinlich mehr im Charakter des Lehrenden als in tiefer Einsicht in die Psychologie des Lernenden begründet.
Eine Yogastunde ohne Lachen ist keine gute Stunde
Man braucht nicht die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung zu bemühen, um einzusehen, dass Angst oder eine unfreundliche Stimmung im Unterricht das Lernen und das tiefe Einlassen auf die körperliche Erfahrung behindern. Je feiner die Energie ist, mit der wir umgehen, die wir spüren wollen, um so mehr ist eine Grundstimmung von Vertrauen notwendig. Es geht ja bei Yoga um mehr als um korrekte Ausrichtung, Kraft und Gelenkigkeit. Die besonders genauen Anweisungen der Iyengar-Methode ermöglichen ein präzises und tiefes Arbeiten in den Asanas, und dies bringt eine entsprechend tiefe Wirkung im Psychologischen mit sich. Und den meisten Menschen fällt es in einer angstvollen, rigiden Atmosphäre schwer, sich auf ein tiefes Fühlen einzulassen.
Immer noch nicht gut genug!
Wer sich im Unterricht als unnahbare und allwissende Autorität aufführt und nicht ein Genie wie B.K.S. Iyengar ist, wird viele Schüler vertreiben. Möglicherweise bewirkt er außerdem bei einigen eine Einstellung zum Üben, die es ihnen schwerer macht, Yoga als einen heilenden Weg zur Selbsterkenntnis zu gehen. Wer so hart mit sich selbst umgeht, wie er es von einem harten Lehrer im Unterricht erfährt, wird wahrscheinlich nicht glücklich werden. Iyengar sagte einmal, dass sich wohl kaum jemand vorstellen könne, wie weich er im eigenen Üben mit sich sei. Er verglich es mit der Zartheit eines Blütenblattes.
Ist es nicht auch Aufgabe des Lehrers, dahingehend zu wirken, dass ein Schüler in seinem Üben weicher statt härter wird? Und allein korrektes Befolgen der Anweisungen gibt dafür noch keine Gewähr. Yoga ist vielleicht nicht für Jeden, aber es ist um Jeden schade, der das Interesse aufbringt und dann durch schroffe Behandlung davon abgebracht oder auf den falschen Weg geführt wird.
Und es stimmt auch: unser Körper ist träge und faul. Es braucht einen festen Willen, die Energien des Körpers zu ändern. Und viele Schüler sind dankbar dafür, dass es Lehrende gibt, die sie mit fester Hand führen und ihnen helfen, die Übung ein bisschen länger zu halten, sich ein bisschen mehr zu strecken und genauer wahrzunehmen. Aber die Begegnung zwischen Lehrer und Schüler führt tiefer, wenn er ein offenes Herz für den Schüler hat und das auch zeigt. Ein guter Lehrer braucht neben all seinem Wissen auch Geduld, Verständnis, Gelassenheit – und Humor. Zu einer guten Yogastunde gehört, dass gelacht wird, sagte Iyengar einmal.
Im Loben und im Tadeln bleibt der Lehrer groß, der Schüler klein
Wenn zu viel Kritik schadet, wie ist es dann mit Lob? Hat es überhaupt einen Sinn, Schüler für die Ausführung eines Asanas zu loben? Schließlich ist doch unsere Aufgabe als Lehrer, ihnen immer mehr das beizubringen, was sie noch nicht wissen oder noch nicht können. Sobald sie den ersten Baustein verstanden haben, kommt der nächste, und die Übung ist nie ganz in Ordnung. Ist unsere Hauptausrichtung nicht, Fehler und Ungenauigkeiten zu entdecken, woraus sich notwendigerweise ein ständiges Verbessern und „Kritisieren“ ergibt?
In meiner Anfangszeit als Lehrer, ängstlich und unerfahren im Umgang mit einer größeren Gruppe von Menschen, hatte ich nur die Möglichkeit, den Unterrichtsstil meiner Lehrer zu kopieren. Und da kam Lob nicht vor. Iyengars Lob sah bestenfalls so aus, dass er ohne zu murren an einem vorbeigeht.
In mir war die Vorstellung, dass ein Lob dazu führen würde, dass der Gelobte seine Anstrengungen von da an einstellen würde im Glauben, er könne die Übung jetzt. Loben muss man Kinder. Das fördert ihr Interesse und gibt ihnen Lust weiterzumachen. Aber Erwachsene loben? Behandelt man sie dann nicht wie kleine Kinder? Auch im Loben bleibt der Lehrer der Große und der Schüler der Kleine.
Dazu kommt, dass sich ein Lob weitgehend auf die Ausführung der äußeren Form bezieht. Nach Monaten kriegt es jemand endlich hin, in Trikonasana mit angezogenen Kniescheiben zu stehen, den Brustkorb gut zu öffnen, die Schultern zurück zu halten und nach oben zu schauen ohne umzufallen. Offensichtlich hat er etwas gelernt, vielleicht intensiv zuhause geübt. Aber sagt das äußerliche Können etwas über seine innere Haltung? Ist das nicht absurd, jemanden dafür zu loben, dass er seine Knie gestreckt halten kann?
Andererseits ist aber ein wohlwollender Umgangston generell förderlich für die Lernbereitschaft. Und welches Aufatmen geht durch manche Menschen, wenn sie deutlich erfahren, dass man es bei allem Korrigieren und Verbessern gut mit ihnen meint. Vom Lehrer zu hören, dass man Fortschritte macht, hat schon manchen mehr motiviert als ein Tadel über das noch nicht Erreichte. Mancher Schüler muss durch eine etwas strengere Handhabung „aufgeweckt“ werden, ein anderer lässt nur ein sanftes Herangehen zu. Wenn ich als Lehrer einen Schüler erreichen will, muss ich auch flexibel genug sein, mich darauf einzustellen, was und wie er aufnehmen kann, was ich anzubieten habe.
Endlich alles richtig gemacht!
Und wie steht es mit dem Lob bzw. Tadel für den Lehrer? Iyengar sagte einmal, in den ersten Jahren sollte eigentlich der Lehrer seine Schüler bezahlen, weil er so viel von ihnen lernen würde. Das ist zweifellos richtig. Aus den Fehlern, die man sieht, lernt man viel, sogar für das eigene Üben. Und erst daran, wie Schüler die Korrektur umsetzen können, lernt man, welche Worte zu gebrauchen sind und wie der Unterricht aufzubauen ist. Von daher hat der lernende Lehrer am besten nicht nur ein gutes Auge, sondern auch ein offenes Ohr für die Rückmeldungen der Teilnehmer.
Wenn mir jemand nach einer Unterrichtsstunde sagt, dass sie ihm gut getan hat, freue ich mich. Besonders dann, wenn ich selber nicht so zufrieden bin mit einer Stunde. Aber ein anderer Schüler mag über die gleiche Stunde ganz anderer Meinung sein. Da ist also Vorsicht geboten beim Ziehen von Schlussfolgerungen. Es ist immer auch das jeweilige Befinden, die Persönlichkeit und das Level des Schülers zu berücksichtigen.
Aber Dankbarkeit auszudrücken ist eine schöne menschliche Geste. Als ich das erste Mal mit einer fast rein deutschen Gruppe zu einem Intensive in Pune war, wies uns nach ein paar Tagen Unterricht ein Assistent darauf hin, dass wir ein bisschen zu spärlich mit unseren Dankesbekundungen seien. Schließlich seien die Iyengars die besten Yogalehrer der Welt. Ausländische (insbesondere amerikanische) Gruppen würden im Allgemeinen nach jeder Klasse ausgiebig applaudieren, was Guruji, Geeta und Prashant gerne entgegennähmen. Auch die besten Yogalehrer sind halt auch nur Menschen.
Kritischen Bemerkungen gegenüber versuche ich offen zu sein. Oft lerne ich daraus, besonders wenn es um technische Fragen in einer Asana geht. Dennoch, eine allgemeine Kritik am Unterrichtsstil muss auch vor dem Erfahrungshintergrund des Kritisierenden gesehen werden. Schließlich konfrontieren wir unsere Schüler ja sehr mit ihren Grenzen und dem, was sie nicht können. Da taucht eventuell schon auch mal Unwillen und Unzufriedenheit auf – vielleicht einfach deshalb, weil es so anstrengend ist. Manche haben abweichende Vorstellungen oder vorherige Erfahrungen davon, wie Yoga unterrichtet werden sollte. Auch hier gilt es abzuwägen, inwieweit die Kritik berechtigt ist und man darauf eingehen will.
In der indischen Guru-Schüler-Tradition ist es nicht vorgesehen, dass es zu einer menschlich ebenbürtigen Beziehung kommt. Der Guru steht oben, für immer den Dank des Schülers entgegennehmend. Hinter dieser Tradition kann man sich als Lehrer auch verstecken. Dann bleibt man der scheinbar Starke. Oder man geht das Risiko von Beziehung ein. Dann müssen auch die eigenen Schwächen offengelegt werden. Der Lohn ist ein angenehmerer menschlicher Umgang miteinander.
Wie schön ist es für mich, wenn ich sehe, dass ein/e Schüler/in durch das Üben mehr erreicht als nur Beschwerdefreiheit und größere Beweglichkeit. Wenn es deutlich wird, dass jemand eine Ahnung von der Tiefe der Asanas bekommt und sieht, welche Bedeutung Yoga für sein Leben haben kann. Dann brauche ich keinen Dank des Schülers und der Schüler braucht kein Lob. Lehrer und Schüler sind verbunden in dem, was sie erfahren und der gemeinsamen Dankbarkeit.