z-Chaturanga dandasana

Chaturanga dandasana
(Stockhaltung)

von Ernst Adams

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Bild 1

Dieses Asana erinnert an den Liegestütz aus dem Sportunterricht in der Schule. Er wird dort meist zur reinen Muskelbildung gemacht. Trainiert werden dabei hauptsächlich der Trizeps und die Schultermuskulatur. Sportliche Jungen versuchen sich irgendwann einmal darin, 20 oder irgendeine andere Höchstzahl von Liegestützen hintereinander machen zu können. Wer nicht so sportlich ist, dem macht das keinen Spaß. Dann ist es eine Quälerei, angeblich für einen guten Zweck. Man macht es nur, weil der Lehrer es verlangt.

Einige Jahre später ist man erwachsen. Um sich etwas Gutes zu tun, besucht man einen Yogakurs und begegnet nach einiger Zeit unversehens diesem Schrecken aus der Kindheit wieder. Die Arm- und Schultermuskulatur ist eventuell so schwach wie eh und je, der Widerwille gegen diese Übung ist noch genauso groß und das Körpergewicht hat auch noch zugenommen. Bei den ersten Versuchen ist es wie damals: es ist nur anstrengend – und schön, wenn es vorbei ist.

 

Bei den meisten Asanas kommt es automatisch zur Dehnung eines oder mehrerer Körperbereiche. Vereinfacht dargestellt, spannt man eine Seite des Körpers oder eines Körpergliedes an und die andere Seite wird dadurch gedehnt. Bei stehenden Übungen werden u. a. die Beine, der Brustkorb und die Schultern gedehnt, bei Vorwärtsbeugen und Drehungen der Rücken und bei Rückwärtsbeugen der Bauch. Diese Dehnungen kann man als angenehm empfinden, während das Anspannen eher die Qualität von Arbeit und Anstrengung hat.

Chaturanga dandasana ist eines der wenigen Asanas, in welchen anfangs kaum Dehnung zu spüren ist. Man hält sich in der Übung durch Kontraktion des Trizeps, der Schultermuskulatur, der Muskeln am Bauch und Gesäß und durch Streckung der Beine. Es ist erst mal nur anstrengend. Der Muskelaufbau wird gefördert, was ja für die meisten Menschen auch einen Sinn hat, aber es bedeutet auch Frust. Wenn man nicht genügend übt, bleibt es auch lange Zeit dabei.

Ich habe einige Jahre gebraucht, um die Leichtigkeit in dieser Übung zu entdecken, das Gefühl von Schweben, und bis ich Freude empfinden konnte an dem besonderen Gefühl des Streckens zehn Zentimeter über dem Boden. Diese Empfindungen treten auch heute nicht gleich zu Beginn des Übens ein, und an manchen Tagen fühle ich mich schwer wie Blei. Aber wenn ich aufgewärmt bin, gelingt es mir meist, mich für kurze Zeit als schwebend zu empfinden und leicht wie eine Feder. Neben der erwähnten muskelstärkenden Wirkung motiviert mich insbesondere dieses Empfinden dazu, Chaturanga dandasana zu unterrichten.

Vor dem Vergnügen steht jedoch die Arbeit. Es führt kein Weg daran vorbei, einige wesentliche Muskeln aufzubauen und sie dann in der Übung auch einzusetzen. Manchmal kommt der ernsthafte oder scherzhaft gemeinte Vorschlag, erst mal im Fitness-Studio etwas Body-Building zu betreiben, damit man diese anstrengenden Yogaübungen überhaupt ausführen kann. Das mag in besonderen Fällen sinnvoll sein. Meine eigene Erfahrung ist, dass sich durch das kontinuierliche Üben eines Asanas genau die Muskeln entwickeln, an denen es eventuell fehlt. Das Ausführen von Asanas hat daneben gegenüber den monotonen Bewegungsabläufen an den Geräten eines Fitness-Studios den Vorzug, dass das Muskeltraining in einen ganzkörperlichen Zusammenhang eingebunden wird. Die Körperwahrnehmung wird durch aufmerksames, fühlendes Üben geschult, und man erfährt noch die allgemein harmonisierende und positiv anregende Wirkung, die den meisten Asanas eigen ist.

 

Um den Bereich der Schultern zu stärken, bietet sich als relativ einfaches Asana vor allem Adho mukha svanasana, der „Hund“, an (Bild 2).

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Bild 2

 

  • Strecke die Ellbogen. Fühle, wie fest dabei der Trizeps wird (der Muskel außen am Oberarm), und drücke ihn an den Oberarmknochen an.
  • Drehe die Oberarme etwas nach außen. Nimm die Schulterblätter auseinander. Das macht den Nackenbereich freier und gibt der Streckung in den Schultern mehr Stabilität.

Der „Hund“ belebt, streckt Arme und Beine, öffnet den Brustkorb und tut was Gutes für den Rücken. Eine Übung, die sich also zum täglichen Gebrauch eignet. Wegen dieser Wirkungen, aber auch zum Zwecke der Muskelstärkung ist es empfehlenswert, sie mehrere Minuten zu halten. Immer ein wenig über den Zeitpunkt hinaus, wo der Wunsch zum Aufhören kommt.

 

Ein nicht-klassisches Asana, das auch als Vorbereitung zum „Stock“ dient, ist die „Liegestützhaltung“ (Bild 3).

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Bild 3

  • Halte deinen Körper in einer geraden Linie. Mache die Arme fest.
    Hier sind auch schon einige Punkte zu beachten, die für Chaturanga dandasana wesentlich sind.
  • Strecke die Knie. Drücke die Fersen nach hinten. Ziehe das Steißbein etwas ein. Öffne den Brustkorb.
  • Diese Übung ist auch gut geeignet, um den sinnvollen Umgang mit den Händen zu lernen. Die Streckung der Arme und die erforderliche Anspannung der Arm- und Schultermuskulatur ergeben sich manchmal von selbst, wenn man seine Hände und Finger richtig einsetzt.
  • Breite die Finger aus, strecke sie von der Handmitte weg. Drücke den Handteller überall gleich fest auf.
  • Insbesondere achte darauf, das Zeigefingergrundgelenk (Zeigefingerballen) und den Daumenballen aufzudrücken.
  • Drehe die Arme nach außen und ziehe die Schulterblätter zurück.

Auch hier gib nicht gleich dem ersten Impuls nach, die Übung zu beenden, sondern bleibe mit sanfter Entschlossenheit ein paar Atemzüge länger.

 

Entschlossenheit wirst du auch brauchen, wenn du Chaturanga dandasana übst. Männer haben im allgemeinen kräftigere Arm- und Schultermuskeln, aber auch sie sind meist nach kurzer Zeit fix und fertig, wenn sie den „Stock“ korrekt halten sollen. „Korrekt“ bedeutet in diesem wie in allen Asanas, dass die körperliche Energie möglichst frei fließt. Konkret heißt das zuerst einmal, dass man unnötige Verkrampfungen und Einengungen vermeidet. Zu diesen kommt es in dieser Übung häufig im unteren Rücken und im oberen Brustbereich. Auf Bild 4 ist eine ungünstige Ausführung zu sehen:

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Bild 4

 

  •  das Becken ist nach vorne gekippt, das Steißbein ist zu hoch, wodurch ein übermäßiges Hohlkreuz entstanden ist, und die Lendenwirbelsäule ist gestaucht;
  •  die Schultern sind nach vorne gerollt, der Brustkorb eingeengt, der Nacken gestaucht und die Atmung behindert.

Diese Abweichungen von der vorgegebenen Form haben also deutlich sichtbare und fühlbare Nachteile. Ein Anfänger hat oft keine andere Wahl, als die Übung erst mal „schlecht“ zu machen. Um zu einer besseren Form zu kommen, braucht man eine gute körperliche Koordination und vor allem Kraft. Zu wissen, wie es gehen soll, reicht hier ganz und gar nicht. Man muss wirklich üben, eben auch um die nötige Kraft zu entwickeln, so dass man das Gewünschte überhaupt tun kann.

 

Die oben erwähnten Abweichungen haben nicht nur ungute Empfindungen zur Folge und auf die Dauer eventuell schädigende Wirkungen. Sie sind auch ein Indiz dafür, dass etwas Wesentliches fehlt bei der Ausführung dieses Asanas. Der Körper ähnelt in Bild 4 einer an einzelnen Stellen aufgehängten Hängebrücke anstatt wie auf Bild 1 einer geraden Brücke, die an ihren Enden aufliegt und dazwischen stabil und tragfähig ist. Der Körper zerfällt vom Gefühl her in mehrere Teile, die nicht kraftvoll, sondern hängend miteinander verbunden sind. Beine, Arme, Oberkörper und Kopf sind nicht eine dynamische Einheit. Der Körper hängt, anstatt durch Streckung getragen zu werden. Und deshalb fühlt er sich schwer an. Richtet man seine Knochen gerade aus und stabilisiert diese Haltung durch die Muskeln, wird das Gewicht vom Knochen“gerüst“ getragen. Dieses ist dazu da. Ist die Ausrichtung nicht optimal, müssen Muskeln eingesetzt werden, Bänder und Sehnen werden strapaziert. Das wird als Schwere- und Anstrengungsgefühl im Gehirn gemeldet.

 

Drei Wege zum „Stock“

 

Wir werden jetzt drei Arten betrachten, wie man die Stockhaltung einnehmen kann: aus der Bauchlage, aus der Liegestützhaltung und aus dem „Hund“. Keine davon ist leicht, und jeder empfindet eine andere Methode als leichter.

Probiere zuerst, dich von der Bauchlage aus in den Stock hochzudrücken.

  • Platziere die ausgebreiteten Hände neben dem Brustkorb, strecke die Knie, hebe und ziehe den Brustkorb etwas nach vorne.
  • Halte die Ellbogen nahe am Körper und ziehe sie zusammen mit den Schulterblättern kräftig nach hinten.
  • Spanne die Bauchmuskeln etwas an, dann drücke dich hoch.

Entweder es geht oder es geht nicht. Meistens geht es anfangs nicht. Es gibt einen Trick, mit dem nach meiner Erfahrung fast jede/r zumindest den Oberkörper vom Boden heben kann. Und zwar, die Stirn dabei auf den Boden zu drücken. Damit hat man dann immerhin 90% der Form eingenommen und kann an der Haltung des Beckens und der Beine arbeiten. Den wenigsten gelingt es jedoch, dann nachträglich auch noch den Kopf zu heben.

 

Auch die zweite Methode ist eine Herausforderung an die Arme. Aus der Liegestützhaltung beuge die Ellbogen und lass dich langsam nieder, bis du dich im „Stock“ befindest.

  • Halte dich schon am Anfang gerade und steif wie ein Stock. Beim Runtergehen nimm das Steißbein nach unten und drücke die Innenseiten der Knie nach oben.
  • Drücke dabei die Handflächen überall gleichmäßig auf. Ändere das Gefühl an den Händen nicht im geringsten während des Absinkens.

 

Da kommt es dann schon auch mal zu einem Absturz. Aber das erhebende Gefühl einer irgendwann gelingenden sanften Landung im „Stock“ lohnt die Mühe des Übens.

Auch das schön anzuschauende Herabgleiten in die Stockhaltung aus dem „Hund“ gibt ein der äußeren Schönheit entsprechendes Gefühl von harmonischer, fließender Bewegung. Damit es sowohl zu der Schönheit als auch zu diesem inneren Gefühl kommt, befolge beim Beugen der Ellbogen die vorhergehenden Anweisungen entsprechend. Wenn du vom „Hund“ zum „Stock“ übergehst, beuge die Ellbogen nach unten, nicht nach außen. Außerdem halte den Kopf tief:

  • Hebe deinen Kopf nicht, sondern bewege ihn auf einer gedachten mehr oder weniger waagrechten Schiene nach vorne.
  • Synchronisiere die Beckenbewegung (das Einziehen des Steißbeins) mit der Beugung der Ellbogen.

 

Bei dieser Bewegung kann man auch wieder die erst mal überraschende Erfahrung machen, wie das korrekte Anspannen der Beine die Arbeit leichter macht, in diesem Fall den Armen. Auch bei vielen anderen Asanas bewirkt ja das Strecken der Beine eine Entlastung der Wirbelsäule und des ganzen Oberkörpers.

Dazu gehe diesmal so vom „Hund“ zum „Stock“ über, als wollten die Beine nicht mitmachen, als wollten sie mit aller Kraft im „Hund“ bleiben:

  • Drücke die Beine in ihrer gesamten Länge nach hinten, während du dich durch das Beugen der Arme in den „Stock“ begibst.

Das nimmt Gewicht weg von den Händen und macht die Landung weicher. Bei dieser Bewegung musst du besonders darauf achten, nicht ins Hohlkreuz zu gehen, drehe also synchron dazu das Becken nach hinten, ziehe das Steißbein ein.

 

Das Verhalten in der Übung

 

Nach einiger Zeit des Bemühens wird es dann irgendwann dazu kommen, dass du die Stockhaltung mehrere Atemzüge lang halten kannst. Die Durststrecke ist damit noch nicht vorbei, denn du musst dich noch an das Gefühl von erheblicher Anstrengung auch beim Halten der Übung gewöhnen. Gib nicht auf. Übe jeden Tag ein bißchen. Der Tag wird kommen, an dem es dir leichtfällt.

Der kräftige Einsatz von Muskeln wird immer erforderlich sein, aber er fühlt sich mit der Zeit immer weniger anstrengend an. Du lernst auch, sie in einer feineren Weise einzusetzen. Damit meine ich, dass du deine Muskeln in der Bewegungslosigkeit der Übung mit einer Bewegungsabsicht anspannst, die einem anderen Zweck dient, als nur zu verhindern, dass du zum Boden sinkst. Zu dieser inneren Dynamik gibt B. K. S. Iyengar unzählige Anweisungen. Diese sind alle zusammengenommen oft gar nicht miteinander vereinbar, aber jede für sich eröffnet einen Einblick und die Möglichkeit einer tieferen Wahrnehmung.

  • Übe Chaturanga dandasana mit der Absicht, dich nicht nur zu halten und zu tragen, sondern dich zu heben. Lass die Vorderseite deines Körpers die Rückseite heben.

Setze diese Aktivität ein an den Unterschenkeln, Oberschenkeln, Becken, Bauch, Brustkorb und auch an den Oberarmen.

Wenn dir schließlich das Halten nicht mehr so schwerfällt, kannst du dich mehr dem in jeder Yogaübung zentralen Aspekt zuwenden, der Ausdehnung. Mache auch diese Übung mit der Absicht dich zu strecken. Strecke deinen ganzen Körper buchstäblich vom Scheitel bis zur Sohle.

  • Bewege den Scheitelpunkt nach vorne und drücke die Fersen gleichzeitig nach hinten. Fühle die horizontale Ausdehnung.

Vom Becken aus dehne die Beine nach hinten und den Oberkörper nach vorne zur gleichen Zeit. Das Gefühl einer durchgehenden geraden Ausdehnung wirst du dabei nur haben, wenn du den Bauchbereich nicht durchhängen lässt, so wie es ja auch für das Hochkommen in die Stockhaltung aus der Bauchlage hilft, die Bauchmuskeln in angemessener Weise anzuspannen.

 

Und was dann?

 

Wenn das Können gelingt, ohne außer Atem zu kommen, stellt sich vielleicht irgendwann die Frage: Warum soll ich das eigentlich noch weiter üben? Du „kannst“ es jetzt, hast Kraft erworben und deine Körperkoordination verbessert auf dem Weg dahin, was dir für andere Übungen und dein tägliches Leben zur Verfügung steht.

Wenn du ein Asana liebst, kann es dir einen Halt im Leben geben. Du lernst deinen Körper kennen und fühlen und darüber hast du die Möglichkeit in Bezug zu deinem inneren Wesen zu kommen. Diese Weg ist ohne Ende. Jedes Asana ist von unendlicher Tiefe und bietet unendlich viele Feinheiten. Solange du offen bist für Neues, wird ein Asana nie langweilig. Es liegt an dir, die Frage nach dem Warum zu beantworten und dich zu entscheiden.

 

Anmerkung

Der Sanskrit-Name dieser Übung setzt sich zusammen aus „chatur“ (vier), „anga“ (Gliedmaße), „danda“, (Stock) und „asana“ (Haltung). Die Betonung liegt jeweils auf dem ersten „a“ in „anga“ und in „asana“.

 


 

Dieser Artikel erschien in „YOGA aktuell“ Nr. 8, Juni/Juli 2001.